„Ich habe eine Freundin und sehne mich nach einem Mann“

Nicole (28) aus Ingolstadt hat
eine Freundin, mit der sie eine ziemlich glückliche Beziehung führt. Nur hin und wieder vermisst
sie etwas, nämlich „einfach mal so richtig von einem Mann gevögelt zu werden“, gesteht sie mir. Und so hat sie sich heimlich auf die
Affäre mit einem Mann eingelassen, was dann ans Tageslicht gekommen ist. „Dabei
war ich nicht einmal in ihn verliebt", sagte sie schuldbewusst, „ich
liebe meine Freundin über alles, und trotzdem habe ich mich auf diesen Mann
eingelassen“.
Sexualtherapie kann helfen
Sexualtherapeutin Dr. Beatrice Wagner erklärt: Das ist das Drama der Bisexuallen. Diese Menschen fühlen sich von Männern und Frauen in gleicher Weise angezogen. Für eine sexuelle Erfüllung brauchen sie gleichermaßen homosexuelle wie heterosexuelle Kontakte. Das ist eine wirkliche Belastung für die Partnerschaft. Hinzu kommt, dass Bisexuelle weder zur homosexuellen Gemeinde dazu gehören, noch fühlen sie sich unter Heterosexuellen so richtig verstanden. Aufkommende Selbstzweifel sind deshalb an der Tagesordnung. Das war auch der Grund für Nicoles Besuch in meiner Praxis. „Sind viele Menschen bisexuell?“, fragte sie. „Wie kann ich herausfinden, ob ich es auch bin, oder ob ich nur in einer Phase stecke?“
Eine Hilfestellung hat der amerikanische Sexualforscher Alfred Kinsey in den 1950er Jahren mit seiner Kinsey-Skala gegeben. Die Skala reicht von 0 bis 6. Dabei steht 0 für "ausschließlich heterosexuell", ohne jegliche psychische oder physische Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht. 6 bedeutet umgekehrt "ausschließlich homosexuell", ohne jegliche psychische oder physische Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Laut Kinseys Erhebungen sind nur 5 bis 10 % Prozent der Menschen unumstößlich auf eine Rolle festgelegt. Hingegen sind 90 % und 95 % der Menschen zu einem gewissen Grad bisexuell, das heißt, sie können sich gleichgeschlechtliche Kontakte zumindest vorstellen.
Mit Nicole habe ich dann ausgiebig darüber gesprochen, wie stark ihre Bisexualität ausgeprägt ist. Die eigene sexuelle Identität zu finden und zu ihr zu stehen, ist eine große Herausforderung. Und dann begann das nächste Kunststück, nämlich eine Lösung für die Zukunft zu finden. Miteinander reden oder weiter schweigen, das waren die Alternativen. Nicole entschloss sich dafür, mit ihrer Partnerin offen über das Problem zu reden. "Ich habe lange genug heimlich rumgemacht und mich geschämt, das möchte ich nicht mehr", meinte Nicole. Und außerdem möchte sie ihrer Freundin die Chance geben, sich selbst in der Kenntnis aller Fakten für oder gegen die Beziehung entscheiden zu könnnen.
Weitere Gründe für Paarberatung und Sexualtherapie